Uns gefällt es, denn es ist ruhig hier; es gibt weder Wohnmobilisten, die halb bekleidet ihr Camperleben mit Stühlchen und Wäsche draußen auf den Parkplätzen ausleben und damit schon die Bewohner verärgern noch gibt es aggressiv bettelnde Angehörige einer osteuropäischen illustren Volksgruppe oder ehemalige Aussteiger mit oder ohne Hunde vor den wenigen Supermärkten. Die Zahl düster dreinblickender schwarzhäutiger Migranten hält sich auch in überschaubarer Anzahl. Hier kennt jeder jeden und wenn ein Fremder im Ort auftaucht, so spricht sich das schnell herum.

Es passiert auch nicht viel in Los Marmoles, außer dass bei starkem Wind die großen Mülltonnen nur so durch die Gegend fliegen und sich kein Mensch drum kümmert; weder die Policia Local, die das Ordnungsamt vertreten, noch einer der vielen städtischen Mitarbeiter, die ansonsten täglich fleißig ihrer Arbeit als Straßenkehrer nachgehen. Niemanden interessieren die herumkullernden Mülltonnen


Im kleinen Coviran Supermarkt geht es recht beschaulich zu. Hektik scheint ein nicht vorhandenes Phänomen zu sein. Fleisch und Wurst, Obst und Gemüse werden von Juana, der älteren Dame mit der roten Schürze abgewogen, während zwei andere Kunden geduldig an der Kasse warten. In den eng stehenden Regalen suche ich zwischen Ketchup und Barbecuesoße vergeblich nach Senf, den ich später zwischen Tütensuppen und Mehl finde. Während Juana sich immer noch an der Gemüsetheke mit einer Kundin über die Grippe ihres Sohnes unterhält, entdecke ich gleich gegenüber der Kasse Nikolausfiguren und goldene Kugeln einer bekannten Marke und sehe doch tatsächlich auch ein paar Schachteln der berühmten Lind Pralinés. Ihr wißt schon, die weiße Packung mit der goldenen Kordel, die es schon vor 50 Jahren gab.
Sooooo alt scheinen die Packungen zwar nicht zu sein, aber kaufen würde ich sie hier wohl eher nicht.

Und dann ist da noch die Apotheke an der Ecke, der auch wir ein paar Besuche abstatten und so einige Euronen lassen. Auch hier geht es recht familiär zu und beim letzten Besuch packte die Apothekerin gar ein recht großzügiges Präsent in Form einer großen Flasche Körperlotion zu meinem Medikament. Nun ja, in den letzten Tagen haben wir hier ja auch zu einer beträchtlichen Umsatzsteigerung beigetragen.
In dem verhältnismäßig kleinen Ort zählten wir mühelos mindestens 5 oder 6 Friseure im Umkreis weniger Gassen, von denen wir bisher zwei ausprobiert haben und mit beiden zufrieden sind. Hier kann sich Frau den Luxus wirklich erlauben, denn nach etwa 30 Minuten sind für 7 Euro die Haare gewaschen und in Form geföhnt. Bei Ana hat es meinem Liebsten am Besten gefallen, denn sie schnitt ihm erst feucht die Haare und wusch sie nach dem Schneiden. Das fand mein Liebster ganz toll, denn so pieksten ihn keine kleinen Härchen mehr. Ganze 6 € hat er für den Spaß eines recht zeitintensiven Haarschnitts einschließlich Haarwäsche und Kopfmassage bezahlt, unvorstellbar, wenn man bedenkt, was ein Herrenhaarschnitt in Deutschland kostet, der nur ein Drittel der Zeit beansprucht.
Am beeindruckendsten aber ist auch in diesem kleinen „Nest“ die Kneipenszene. Innerhalb weniger Meter zählten wir 7 Bars, wovon zwei morgens geschlossen sind. Da wir quasi neben Carlos’ Bar wohn-ten, lag es auf der Hand, auch bei ihm zu frühstücken. Beim Betreten der Bar wird man vom grellen Pfiff des Nymphensittichs begrüßt, der sicher die Türglocke ersetzen soll.
Im Halbdunkel des Etablissements stehen einige Tische mit alten, kunstledergepolsterten Metallstühle; auf der Theke stehen ein paar schmutzige Tassen und Gläser und auf der Kasse, die stets geöffnet ist, geben sich San Sebastian, San José und San Juan de Dios ein Stelldichein mit der Nuestra Señora del Carmen und dem Filius der Familie mit Magisterhut.
Über allem plärrt ein großer Fernseher in einer Lautstärke, die eine normale Unterhaltung ad absurdum führen würde. Meist ist es die Fußball-Talkrunde des Vorabends, die die Gegend beschallt. Entweder sitzt Carlos andächtig vor dem Fernseher wenn wir kommen, oder er ist in die „Marca“ vertieft, eine der täglichen spanischen Fussballzeitungen.
Die Bestellung bei Carlos, der ja nicht nur einzahnig, sondern auch noch schwerhörig ist, muss man schon brüllen. Und dann kommt Mercedés ungekämmt aus dem Nebenzimmer geschlurft, wo sie wohl geschlafen hat. Freundlich grinsend grüßt sie uns - auch fast zahnlos- um in der Küche unsere bestellten „Tostadas“ zuzubereiten. Der Café con Leche ist wirklich richtig gut, doch die harten Tostadas sind nicht der große Brüller.
Während wir so unser Frühstück zu uns nehmen, gibt Coco, der Sittich, oft schrille Töne von sich oder pickt auf dem Boden seines Käfigs herum, um zu signalisieren, dass ihm langweilig ist. Wenn er gut drauf ist, pfeift er manchmal „La Cucaracha, la Cucaracha“ und wenn ich mich zu ihm geselle und ihm irgendeinen Quatsch erzähle, schaut er mich an und antwortet, wahrscheinlich ähnlichen Unsinn

Nun mag sich mancher fragen - ich frag mich das ja auch schon dauernd

Vor der Bar trafen wir vor einiger Zeit zwei junge Männer mit unverkennbar nordafrikanischen Wurzeln im Gespräch mit Carlos, dem wir uns zugesellten. Man sprach über dies und das und übers Wetter und dann erzählte der eine Marokkaner, dass er in Deutschland, in Frankfurt gearbeitet hätte und er gab seine einzigen deutschen Worte zum Besten: Guten Morgen. Waren ganz nette, freundliche Jungs, doch tiefer ging die Konversation nicht, denn wir flohen vor dem heftiger werdenden Wind. Noch stundenlang lungerten die Jungs vor und neben Carlos Bar herum. Wovon mögen sie wohl leben? Schließlich herrscht hier eine Arbeitslosenquote von 50%.
Für ein paar Tage hatten wir unseren beschaulichen Ort verlassen, um Elke und Hans in ihrem quirligen Domizil an der Küste zu besuchen. So schön es ja ist, sich mal wieder mit Gleichgesinnten in der eigenen Sprache unterhalten zu können, so waren wir doch froh, am Sonntag wieder in unser verträumtes Nest zu kommen.
Aber was ist das?


Jetzt müssen wir uns eine neue Bar zum Frühstück aussuchen und landen bei Pedro, dem jungen Mann im Trainingsanzug mit Abzeichen von Real Madrid, der uns nicht nur zur Begrüßung freundlich angrinst, sondern auch richtig leckere Tostadas bringt. Es ist ziemlich viel los bei Pedro; an der Theke stehen Kaffee trinkend einige städtische Mitarbeiter der Müllabfuhr, ein paar Bauarbeiter und zwei Anstreicher von „Sanchez Pinturas“. Hin und wieder kreist eine Flasche ohne Etikett mit klarer Flüssigkeit, die den Kaffee verdünnt. „Wasser?“ frage ich meinen Begleiter, der zeigt mir grinsend. den Vogel: „Nööö, Beschleuniger“. Sie schienen sich alle über das gleiche Thema zu unterhalten. Als ein uniformierter der Policia Local die Bar betrat und einem der Anstreicher auf die Schulter klopfte, verschüttete der vor Schreck seinen Kaffee, während alle anderen lachten. Der junge Polizist gab dem Wirt irgendein Papier, unterhielt sich eine Weile, trank einen Kaffee, und verließ dann die Bar. „Hast du gesehen? Der hat nicht bezahlt!“ Ob das hier normal ist? Wahrscheinlich!

Ich angle mir die täglich erscheinende „La Voz de Almería“ und da prangt es in großen Lettern gleich auf der Titelseite: „Drogenfund in Los Marmoles“ und auf Seite 7 konnte man dann die ganze Geschichte diesen Drogenumschlagplatzes lesen. Auch einige junge Männer aus Nordafrika hatten sie festgenommen. Kuck ma einer an: „Unser“ Carlos, unser einzahniger Carlos, von dem wir annahmen, dass er und seine Frau harmlose, arme Socken seien. Und in Wirklichkeit war alles nur Tarnung: Der Alte, die Kneipe und selbst der Vogel in seinem dreckigen Käfig, der immer die Habanera aus Carmen pfiff, wenn die Lage brenzlig wurde.
„Da kannze ma sehen“ sagte ich zu meinem Angetrauten „selbst den Vogel hatten se für ihre Drogengeschäfte dressiert. Ob „La Cucaracha“ auch eine besondere Bedeutung hatte?“
Wir werden es wohl nie erfahren.
Hinweis der Autorin:
Der Ort heißt natürlich nicht „Los Mármoles“ und unser Wirt nicht Carlos. Alle anderen Beschreibungen entsprechen jedoch bis ins kleinste Detail unseren Erlebnissen und akribischen Beobachtungen.
Und - nein, Carlos Bar wurde nicht geschlossen und mit Drogen hat er (wie wir glauben
