
Quelle: Kölner Stadtanzeiger 01.09.2012
BEI EINER TOUR VERMISSTE FRAU WAR UNTER DENEN, DIE SUCHTEN
Sich selbst gefunden
VON CHRISTIAN BOS
Dies ist die Geschichte von der Frau, die sich selbst suchte. Sie ist wirklich passiert, vor wenigen Tagen erst, im südisländischen Hochland. In das hatte sich eine Touristengruppe mit dem Reisebus aufgemacht. Zurückgekehrt von einer Wanderung durch die acht Kilometer lange Eldgjá-Schlucht, Teil einer Vulkanspalte, vermissten die Touristen eine Mitreisende. Der Busfahrer wartete eine Stunde, dann verständigte er die Polizei.
Rund 50 Personen begaben sich auf die Suche, motorisiert und zu Fuß, auch die Reisenden halfen mit. Sogar ein Hubschrauber der Küstenwache wartete auf seinen Einsatz, konnte aber wegen Nebels nicht starten.
Bis drei Uhr nachts fahndete die Gruppe erfolglos nach der Vermissten. Dann klärte sich das Missverständnis auf, leider verrät der Bericht des isländischen "Morgunbladid" nicht wie.
Was war geschehen? Die Frau hatte, bevor sie nach der Eldgjá-Wanderung wieder in den Bus stieg, ihre Kleidung gewechselt und sich frisch gemacht. Mit durchschlagendem Erfolg. Denn von ihren Mitpassagieren wurde sie nicht mehr erkannt. Beim Durchzählen vertat sich der Busfahrer, und die aufgefrischte Frau erkannte sich wiederum nicht in der - vielleicht unschmeichelhaften? - Beschreibung wieder, die nun die besorgten Ausflügler von ihr gaben.
Also suchte sie sich selbst. Und fand sich. Dem französischem Dramatiker Jean Giraudoux zufolge ist eine Frau ein Wesen, das sich selbst gefunden hat. Na also. Da aber bekanntlich niemand eine Insel ist, auch nicht in Island, gehört zur Selbstfindung die Antwort auf die Frage "Wie sehen mich die anderen?"
Gerade weil wir diese Antwort lieber nicht hören wollen. Gerade weil sie uns manchmal derart aus der Bahn wirft, dass wir bis drei Uhr nachts am Rand eines Vulkans herumirren, bis wir wieder mit uns selbst identisch sind.