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Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Do 8. Nov 2018, 19:24
von Oliva B.
Wer sehenden Auges durch die Landschaft fährt, sieht sie:

die befallenen Opuntien der Pflanzenart Opuntia ficus-indica, auch Kaktusfeige genannt, die wie von einer weißen Schaumschicht bedeckt sind. Es handelt sich um den Parasit Cochenille, eine Schildlaus, die sich von den Kakteen ernährt und ihre Blätter infiziert. Aus dem „Läuseblut“ (eigentlich gemahlene Panzer der Schildläuse) wird einer der teuersten Naturstofffarben produziert, für ein Kilo werden ca. 140.000 Schildläuse benötigt oder ein Kilogramm getrocknete Cochenilleschildläuse ergeben ca. 50 Gramm Karmin, aber dazu später.
Wikipedia: Cochenilleschildlaus
Wikisource: Die Cochenille

Auch meine Opuntie hat es erwischt:
Nachdem dem missglückten Versuch, die Conchenilleschildlaus mit einer Spülmittel-Wasserlösung zu entfernen, habe ich es jetzt mit nativem Olivenöl extra probiert (wenn schon, denn schon :lol: ), die Tierchen zu ersticken und bin nun auf das Ergebnis gespannt.
Mein befallener Kaktus, das rechte Ohr bereits geschädigt, links die Läuse
Mein befallener Kaktus, das rechte Ohr bereits geschädigt, links die Läuse
Doch über die Opuntie und ihren Schmarotzer gibt es noch viel Interessantes zu berichten:

Geschichte der Kaktusfeige

Nopal, wie die Opuntie in ihrem Heimatland genannt wird, stammt aus Mexiko. Schon vor Kolumbus wurde in Südamerika Karmin aus der Cochenilleschildlaus hergestellt, in Mexiko mindestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. Schon kurz nach der Entdeckung Amerikas wurden die Opuntien in Spanien eingeführt.
Die Kaktusfeige als Wasserspeicher

Heute wird die Kakteenart in 26 Ländern der Erde kultiviert, denn sie gehört wegen der ständig abnehmenden Wasserressourcen und des Klimawandels zu einer der wichtigsten Kulturpflanzen des 21. Jahrhunderts. Aber die Pflanze dient nicht nur als Wasserspeicher, ihre Früchte und jungen Triebe sind auch essbar.
Kaktusfeigen
Kaktusfeigen
auf Teneriffa
auf Teneriffa
Auf Madagaskar sichert Nopal die Lebensgrundlage von Menschen und Tieren, aber auch in Ländern wie Äthiopien erwies sich die Opuntie als unverzichtbar, als andere Kulturen vertrockneten. Brasilien verfügt über 500.000 Hektar Kaktusplantagen, aber auch in Argentinien, Bolivien, Chile und Peru werden die Pflanzen traditionell angebaut. El Nopal: cultivo del Futuro

Der Schädling der Opuntie als Lieferant des Farbstoffs E 120

In der Industriegesellschaft ist der begehrte rote Farbstoff Karmin, den die Cochinelleschildlaus produziert, nicht mehr wegzudenken. Das Wort stammt aus dem Persischen, gebräuchlich sind auch die Bezeichnungen Karmoisin, Karmesin, Cochenille (Koschenille). Der mit diesem Farbstoff erzielte Farbton wird auch als Scharlachrot bezeichnet.
Befallene Kaktusfeige
Befallene Kaktusfeige
Karmin
Wenn man die weibliche Schildlaus zerquetscht (was bei der Entfernung vom Kaktus passiert), tritt der rote Farbstoff (Karminsäure) heraus
Wenn man die weibliche Schildlaus zerquetscht (was bei der Entfernung vom Kaktus passiert), tritt der rote Farbstoff (Karminsäure) heraus
Karmin wird zum Färben von Textilien verwendet, ist in etlichen Arznei- und Kosmetikprodukten (Lippenstifte) und Malfarben enthalten. Man findet den Farbstoff aber auch als Lebensmittelzusatz in Fleisch-, Wurst- und Geflügelwaren (südeuropäische Salami), sowie in Marinaden, Backwaren, Gebäck, Desserts, Glasuren, Tortenfüllungen, Marmeladen, Konfitüren, Konserven, Surimi, Getränken (früher in den Smoothies von Starbucks), in Frucht- und Obstweinen, Spirituosen (in Deutschland früher noch in Campari und Aperol) sowie in Fruchtsäften, in einigen Sorten von Cheddar-Käse und anderen Milchprodukten (Joghurt), Soßen, Süßigkeiten und Gebäck.
Als Lebensmittelzusatz trägt er das Kürzel E 120, auf den manche Menschen allergisch reagieren (Nesselsucht, allergischer Schock).
Für wen ist Karmin bedenklich?
Besiedlung einer Kaktee mit der Cochenilleschildlaus
Besiedlung einer Kaktee mit der Cochenilleschildlaus
Nach dem weltweiten Aufkommen synthetisch hergestellter Farben brach der Markt zusammen, doch durch den Trend "zurück zur Natur" wird wieder mehr produziert.
Vegetarier und Veganer aufgepasst

E 120 ist der einzige Zusatzstoff tierischer Herkunft, der für Lebensmittel zugelassen ist.
Viele Moslems und Juden vermeiden Lebensmittel mit diesem Zusatzstoff aus religiösen Gründen.

Campari oder Aperol

Die intensiv rote Farbe beider Spirituosen wurde lange mit dem natürlichen Lebensmittelfarbstoff Karmin (E 120) erzeugt. 2006 entschied das Unternehmen, für einige Märkte (u. a. Deutschland) Cochenille durch den synthetischen Farbstoff E 124 (=Cochenillerot A) zu ersetzen. Inhaltsstoffe tierischer Herkunft sind also nicht mehr darin enthalten! Meines Wissens ist E 120 nur noch in schwedischem Campari erlaubt.
Ob das auch für Spanien zutrifft, habe ich mir nicht ergoogeln können, auch auf dem Etikett werden keine Inhaltsstoffe angegeben.
Campari is Made Differently Around the World: Cochineal, Coloring, ABV, & Eggs
Wüthrich B. Erinnerungen eines Allergologen: Campari-Anaphylaxie bei Gartenparty – Was hat die Schildlaus damit zu tun? Dermatologie Praxis 2016 Vol. 26, Nr. 4, S. 39-41.

Weitere interessante Links:

Zeit online: Roter Farbstoff mit sechs Beinen

COCHENILLE: Läuseblut, das rote Gold von Lanzarote Fotos und Reportage über Opuntienfarmen © H. Schulz von 2010

Cochinilla, y su poder para teñir

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Do 8. Nov 2018, 20:17
von nixwielos
Hochinteressant liebe Elke, gesehen haben wir die befallenen und abgestorbenen Kaktusfeigen schon häufig, aber das Drumrum war mir überhaupt nicht klar :oops: Danke für die Erklärung!

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Do 8. Nov 2018, 21:43
von hundetraudl
nixwielos hat geschrieben: Do 8. Nov 2018, 20:17 Hochinteressant liebe Elke, gesehen haben wir die befallenen und abgestorbenen Kaktusfeigen schon häufig, aber das Drumrum war mir überhaupt nicht klar :oops: Danke für die Erklärung!
Danke Elke, ich dachte immer Aperol hat seine Farbe von einer Frucht.

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Do 8. Nov 2018, 21:44
von Cozumel
Als ich in Teneriffa lebte, sah man noch überall die stillgelegten Feigenkakteen Plantagen.
Damals wurde sie hauptsächlich für die Produktion für Lippenstift Farbstoffe kultiviert. Als chemische Farbstoffe günstiger hergestellt werden konnten, wurden die Conchinilla Läuse überflüssig.
Vielleicht hätten sie bei den Läusen bleiben sollen, die chemischen Farbstoffe sind nicht unumstritten.

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Fr 9. Nov 2018, 00:35
von nurgis
Ich habe bei meinen Sukulenten ( Schildlaus-Befall) auch die Spülmittellösung versucht, sogar verstärkt mit Spiritus, Erfolg null ! Auch andere ökologisch vertretbare Produkte versagten. Ich habe aufgegeben zu zählen, wie viele Pflanzen mir in diesem Jahr durch diese Biester gestorben sind. Jedenfalls waren es sehr viele. Auch gut eingewachsene Kletterpflanzen wie Diplomea, selbst meine Königin der Nacht.

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Fr 9. Nov 2018, 11:18
von Oliva B.
hundetraudl hat geschrieben: Do 8. Nov 2018, 21:43
nixwielos hat geschrieben: Do 8. Nov 2018, 20:17 Hochinteressant liebe Elke, gesehen haben wir die befallenen und abgestorbenen Kaktusfeigen schon häufig, aber das Drumrum war mir überhaupt nicht klar :oops: Danke für die Erklärung!

Danke Elke, ich dachte immer Aperol hat seine Farbe von einer Frucht.
Hallo hundetraudl,

dazu findet man, Zitat: Wobei natürlich zu bemerken ist, dass es nicht der Prosecco ist, der den Aperol Spritz so markant rot färbt :-? , sondern der Aperol, egal ob er synthetischen oder tierischen Farbstoff enthält...

In dem PDF, Wüthrich B. Erinnerungen eines Allergologen: Campari-Anaphylaxie bei Gartenparty – (Link siehe unter Campari), kann man allerdings Gegenteiliges lesen:

  • "2006 entschied das Unternehmen Campari-Gruppe, in Campari (nicht aber in Aperol) auf künstliche Farbstoffe umzustellen, so dass laut Etikettendeklaration heute die Farbstoffe Tartrazin (E102), Azorubin (Carmoisin) (E122) und Brillantblau FCF (E133) eingesetzt werden."


Und da auf den Etiketten keine Angaben gemacht werden, sollten Veganer, Vegetarier, Moslems und Juden sicherheitshalber auf den Genuss verzichten.

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Fr 9. Nov 2018, 15:02
von ville
Danke für die (wie immer) gut aufbereiteten Fakten und Infos, liebe Elke ! Jetzt weiß ich auch, weshalb wir beide Aperol nie mochten. :d ( Verblüffender Weise schmeckt uns aber Campari mit O-Saft ausgezeichnet....)

Da wir nach dem Tennis öfter auch mal ein Bitter Kas trinken, hat mich jetzt schon interessiert, ob die Farbe des roten Getränks auch von diesen Cochenilleschildläusen stammt. Sie tut es !

ville

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Fr 9. Nov 2018, 15:20
von Cozumel
Ehrlich Ville?

Ich hab dieses Jahr Aperol entdeckt. Ich kannte den bis dahin garnicht.

Ich mach den so:

Aperol über zwei Eiswürfel
frischer Orangensaft
1 Limette (1/2 reingepresst, 1/2 kleingeschnitten ins Glas)
1 Schuss Wasser mit Kohlensäure
1 Stengel Hierbabuena

War im Sommer der Renner bei mir.

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Fr 9. Nov 2018, 17:37
von ville
Cozumel hat geschrieben: Fr 9. Nov 2018, 15:20 Ehrlich Ville?
Ich hab dieses Jahr Aperol entdeckt. Ich kannte den bis dahin garnicht. Ich mach den so:

Aperol über zwei Eiswürfel
frischer Orangensaft
1 Limette (1/2 reingepresst, 1/2 kleingeschnitten ins Glas)
1 Schuss Wasser mit Kohlensäure
1 Stengel Hierbabuena

War im Sommer der Renner bei mir.
Ehrlich ! Aber vielleicht verwenden diejenigen, die uns den Drink serviert hatten, ein weniger raffiniertes Rezept >:d< Für mich klingt allein der Name APEROL wie ein Motorenöl aus den 50er Jahren ! (Castrol - Motul - Ravenol - Aperol - Addinol - Total - Mibol, nee, Mobil :-D .....)

ville

Re: Von der Laus bis zum Campari

Verfasst: Fr 9. Nov 2018, 17:41
von vitalista
Wieder mal ein typischer Elke-Beitrag: informativ, toll recherchiert und gelungen zusammengefasst, danke für deine Mühe >:d<

Die Kaktusfeige hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich pflanzte sie bei mir am Pool und war hocherfreut, als eines Tages die verlockenden orange-rötlichen Früchte, die mir ganz fremd waren, daran reiften. Hatte ich doch noch nie Kaktusfeigen probiert, wollte ich dann mal eine kosten.
Aua :((
Stunden- ich glaube sogar tagelang fand ich diese gemeinen klitzekleinen Stacheln in meiner Hand. Also aufgepasst: Wer noch nie eine Kaktusfeige geerntet hat sollte wissen, ohne viel Zeitungspapier oder feste Lederhandschuhe niemals diese fiesen, hinterhältigen Früchtchen abpflücken!
Geschmeckt haben sie mir übrigens auch nicht :mrgreen:

Nach ein paar Jahren befiel dann auch meine Opuntie die Conchenilleschildlaus. Alle Versuche ihr beizukommen scheiterten.
Mit Öl - dazu noch mit nativem Olivenöl extra :-D - hatte ich es jedoch nicht versucht, da drücke ich die Daumen, dass es hilft, Elke!