Durch Patagonien

Weltenbummler berichten über ihre Reiseabenteuer in andere Weltteile
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pichichi
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Durch Patagonien

Beitrag von pichichi »

Nach der Abwechslung, die mein l.W. mit ihrem Japanbericht gebracht hat, gibt es von mir einen Abstecher ins südliche Argentinien und Chile. Sorry wegen fehlender Tierbilder, die sind später auf den Galapagos "gebadet" worden und teils sind wegen nicht vorhandener Speicherkarten nur mehr Thumbnails aus Picasa vorhanden...

Valdes Peninsula

November 2005. Wir kommen über Rio und Iguaçu nach Buenos Aires, es ist unsere vierte Weltumrundung, aber die erste auf der Südhalbkugel. Wir steigen am nationalen Flughafen Jorge Newberry in eine Maschine nach Trelew in der Provinz Chubut. Mit dem reservierten Leihauto von Budget geht es nach Löhnen der Nationalparkgebühr über Rumpelpisten in den Nordosten der Valdes Halbinsel, wo wir in der Estançia Ernestina von der Familie Copello erwartet werden...

Der Roman "In Patagonien" des Reiseschriftstellers Bruce Chatwin hat uns animiert, diesen zwischen dem 40. und 52. südlichen Breitengrad gelegenen und sich über mehr als 2000 km erstreckenden Landstrich zu bereisen. Der Name stammt angeblich von Magellan, der die Tehuelche Eingeborenen Feuerlands ob ihrer enormen Statur so bezeichnet haben soll. Die Anden teilen Patagonien in einen schmalen chilenischen Landstreifen mit einer einsamen Fjordlandschaft westlich des Hauptkamms, der wesentlich größere argentinische Teil mit seinen kaum weniger einsamen Grasebenen der Pampas wird vom Atlantik im Osten begrenzt.

Señor Copello weist uns also nach kurzer Begrüßung eines seiner wenigen Gästezimmer der 1907 gegründeten Merinoschaffarm (http://www.laernestina.com) zu und erwartet uns zu einem Strandspaziergang vor Sonnenuntergang. Er ist einer von nur sechs Großgrundbesitzern, denen die 3600 Quadratkilometer der Halbinsel gehören, diese haben auch den Löwenanteil an Strandabschnitten in ihrem Besitz, die bis auf wenige öffentliche Zugänge daher allesamt privat sind, wir werden gleich beim Überschreiten der Straße auf die einschlägigen Hinweisschilder aufmerksam. Der Strand nahe Punta Norte besteht aus groben, schwarzen Kieselsteinen, auf denen wir die letzten hundert Meter langsam am Hintern rutschen müssen um die scheuen Seelöwen und -elefanten nicht zu erschrecken. Die folgenden zwei Stunden frieren wir uns im kühlen, windigen Frühjahr fast alles ab, spüren das aber erst auf dem Rückweg, denn die faszinierende Tierwelt hält uns solange in Bann. Mächtige Bullen werden von ihrem Harem zärtlich mit den Flossen gekost und mit den Körpern warm gehalten, ein bösartiges Fauchen und drohendes Ausfahren der Hauer schreckt Jungbullen ab, die permanent dem Alten sein Weibervolk abspenstig machen wollen, wir sind so nah am Geschehen, dass man unschwer die in früheren Auseinandersetzungen erhaltenen Narben dieser Revierkämpfe an Hals und Rücken erkennen kann. Ein freches Jungtier robbt in unsere Richtung und verharrt vor dem Señor, schnüffelt kurz an dessen abgetragenen Turnschuhen und - ich lüge nicht - wendet sich mit angewidertem Ausdruck wieder ab. Das deutsche Paar, das mit uns die Szene verfolgt kann sich das Lachen kaum verkneifen, worauf der Señor mit roten Ohren versichert, sich ohnehin die Füße gewaschen zu haben...

Wir beobachten, wie die Seelöwen in der Brandung fischen und sehen in der Ferne Gruppen von schnatternden Magellanpinguinen nach anstrengenden Fischzügen zu ihren Nestern unter Buschwerk zurückkehren. Orcas und Wale bleiben uns versagt, dafür müsste man zwischen Feber und März anreisen, Glück haben wir aber bei einer Rundfahrt als wir bei Puerto Pirámides mit unserem Steiner Jagdglas eine Schule von Buckelwalen beim Ausblasen beobachten können.

Tags darauf werden wir mit dem Landrover über den riesigen Landbesitz kutschiert, sehen Guanacos, Merinoschafe sonder Zahl, Pferde, Gürteltiere und Nandus. Für den Señor gibt es hier eine unerwartete Überraschung, wir treffen seine australische Braut am Leuchtturm, die er mehrere Monate nicht gesehen hat. Wir lassen das junge Liebesglück allein und wandern diskret hügelabwärts, wo wir ein paar Pampashasen herumhuschen sehen und unter fast jedem Busch beobachten wir die stolzen Pinguinmänner beim Brüten.Die Einsamkeit, die einen in dieser Landschaft umgibt hat etwas Grandioses an sich, der Eindruck eines Garten Eden war uns selten so nah und wir nehmen uns fest vor, dorthin wieder zurückzukehren...

Feuerland

Nach leider nur zwei Nächten im Tierparadies fliegen wir weiter nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Das chilenische Puerto Williams liegt zwar ein paar Winkelminuten südlicher, hat aber mit einer Stadt wenig gemein. Ushuaia am Nordufer des Beaglekanals, der wichtigen Seestraße vom Atlantik zum Pazifik, ist Anlegestelle oder Ausgangspunkt für die immer beliebter werdenden Antarktiskreuzfahrten sowie Touristenzentrum für Exkursionen ins Tierra del Fuego.
Wir wohnen oberhalb der Stadt im feudalen Las Hayas Resort und erkunden den Nationalpark und die Gletschergebiete der Umgebung, nach den kulinarisch etwas kargen Valdes Tagen ergötzen wir uns im Restaurant Kaupe an französisch inspirierten delices de mer, dazu schmeckt uns ein guter Espumante der Bodega Norton (im Besitz des Glasimperiums derer von Swarowski) aus der Mendozagegend.
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Perito Moreno

Nach zwei Verwöhntagen geht es nordwestwärts nach El Calafate, Ausgangspunkt für den Nationalpark Los Glaciares. Das gebuchte Hotel macht Faxen und hat offenbar die Reservierung verschlampt, der Rezeptionist gibt uns wenigstens ein paar Tipps und nach zweistündigem Abklappern aller in Frage kommenden Absteigen landen wir schließlich in der Hosteria Shehuen mit herrlichem Blick auf den Lago Argentino. Hauptattraktion in dieser Südwestecke Argentiniens ist der Perito Moreno Gletscher, dessen früherer Name Bismarck-Gletscher war.
Perito Moreno
Perito Moreno
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Wikipedia beschreibt die Einzigartigkeit wie folgt:
"Der etwa 60 km lange Perito-Moreno-Gletscher mündet in den Lago Argentino. Pro Tag schiebt sich die Eismasse ungefähr einen Meter vorwärts. Dabei trifft ein Teil des Gletschers auf einen Gegenhang und blockiert so etwa alle vier bis zehn Jahre einen Nebenarm des Lago Argentino, den Brazo Rico. Dadurch steigt der Seespiegel im südlichen Teil dieses Arms an. Der Zusammenbruch dieser Barriere ist eines der eindrücklichsten Naturschauspiele und lockt jedes mal viele Touristen und Dokumentarfilmer zum Gletscher. Die letzten "Vorstellungen" des Gletschers waren 1988, im März 2004, im März 2006 und im Juli 2008. Regelmäßig brechen Teile der 60 Meter hohen und ca. 5 km breiten Gletscherzunge in den Lago Argentino ab, was zu pittoresken Eisbergen und meterhohen Flutwellen im See führt.
Am 9. Juli 2008, am argentinischen Unabhängigkeitstag, erfolgte erstmals ein Zusammenbruch der Barriere im Winterhalbjahr. Der unerwartete Zeitpunkt könnte mit der Globalen Erwärmung im Zusammenhang stehen."

Als wir nach 110 km Fahrt über teils unbefestigte Strassen endlich vor dieser Gletschermauer stehen, könnten wir heulen vor Enttäuschung, denn eine fast undurchdringliche Nebelbank und feiner Nieselregen verhüllen fast alles, lediglich dumpfes Knallen können wir hören als sich Trümmer vom Eis lösen und in den See stürzen. Nachdem die Vorhersage auch für den Folgetag schlecht ist entscheiden wir uns für einen Abstecher nach Chaltén, wo wir das berühmte Bergsteigermassiv des Mount Fitzroy, quasi das Matterhorn Südamerikas, sehen wollen, das Wetter wird immer besser und uns ist bereits aus 40 km Entfernung ein Prachtblick auf diesen eindrucksvollen Berg gegönnt. Am nächsten Morgen machen wir unseren zweiten Anlauf zum Perito Moreno, es ist zwar bewölkt, aber wenigstens nebelfrei. Wir können die Ausdehnung und Höhe nicht fassen, ständig stürzen eisblaue, durchsichtige Brocken in den See und verursachen bedeutenden Wellenschlag, eine chronologische Erinnerungstafel auf der Plattform erzählt von bisher acht Unglücklichen, die sich beim Abbrechen riesiger Stücke von der Gletschermauer zu nahe am Wasser aufhielten...

Torres del Paine

Da es zum Zeitpunkt der Reise nicht möglich war mit dem Leihauto nach Chile einzureisen, müssen wir eine fünfstündige Bustour von Calafate an die chilenische Grenze in Kauf nehmen, umständliche Einreiseprozeduren und Pflichtgeldwechslerei weisen auf die noch immer angespannte politische Lage zwischen den beiden Ländern hin, vor 30 Jahren musste sogar der Papst intervenieren, um einen Krieg wegen dreier umstrittener Feuerlandinseln zu verhindern. Auf chilenischer Seite heißt es in einen anderen Bus umsteigen, bevor wir zum Torres del Paine Nationalpark weiterreisen dürfen. Wir haben Quartier in der Hosteria Lago Pehoé genommen, dem Hotel mit dem atemberaubendsten Ausblick über den Pehoé See auf die bis zu 3000 Meter hohen Spitzen der Cuernos (Hörner) del Paine. Während mein liebend Weib noch selig schlummert, stehe ich noch vor dem Sonnenaufgang auf, als sich gerade die Bergspitzen orange färben und mache eine Serie von Fotos. Ein Ausflug per Bus zum Lago Grey mit seinen kleinen treibenden Eisbergen zieht uns fast die Haut vom Gesicht, so eisig ist der Wind, der von der Andenkette herunterbläst. Normalerweise müsste man nach dem Abstecher in diesen nicht auf Straßen von chilenischer Seite erreichbaren Nationalpark wieder nach Argentinien zurück und dort die Reise fortsetzen, ich aber habe nach langen Recherchen einen Weg gefunden, um per Zodiac und Linienschiff nach Puerto Natales zu kommen.....
Torres del Paine
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Puerto Natales

Die Fahrt mit dem Schlauchboot die Gletscherflüsse hinunter ist abenteuerlich, kleine Wasserfälle und Stromschnellen zwingen uns mehrmals zu Fußmärschen mit unserem Gepäck, bis wir von anderen Booten an Bord genommen werden. Das Panorama ist gewaltig, wir machen nach der abenteuerlichen Fahrt noch eine Gletscherwanderung, bevor uns das Linienschiff nach Puerto Natales bringt. Hier steigen wir am Abend in die Fähre nach Puerto Montt ein.

Inside Passage auf Chilenisch

1600 km Fahrt durch einsamste Fjordlandschaften liegen vor uns, vergleichbar mit der Inlandpassage zwischen Vancouver Island und Prince Rupert in British Columbia. Das Fährschiff hat außer zwanzig Fahrgästen in spartanischen Kabinen noch 50 Pferde und 30 Kühe an Bord, die im Freien am Heck eingepfercht sind, daher muht und wiehert es permanent. Als wir am dritten Tag den Golfo Corcovado passieren wird der Wellengang heftiger, weil die Brandungswogen des stürmischen Pazifik das Schiff ohne moderne Stabilisatoren ordentlich ins Schlingern bringen, einige Passagiere mit grünen Gesichtern geben an der Reling das eben eingenommene Abendessen wieder von sich, während die Vierbeiner offensichtlich seetüchtiger sind.


Siete Lagos

Von Puerto Montt unternehmen wir Ausflüge in das südchilenische Seengebiet "Siete Lagos", besonders schön ist die Fahrt nach Petrohué mit seinen Wasserfällen und Stromschnellen, aber auch Fahrten auf die Insel Chiloe und nach Valdivia haben ihren Reiz. Nach Ankunft in Santiago absolvieren wir das übliche Besichtigungsprogramm, machen einen Abstecher nach Valparaiso und ins Weinbaugebiet Colchagua, wo wir eine Führung durch die Montes Winery absolvieren, deren Montes Alpha ist einer der ganz großen Rotweine der Neuen Welt.
Siete Lagos
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adios Chile, adios Patagonia

Es ist der 4. Dezember 2005 als wir in die Boeing 767 der LAN Chile steigen, die uns auf die Isla de Pascua bringen soll, aber das ist eine andere Geschichte...
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Re: Durch Patagonien

Beitrag von nixwielos »

Oh wie schön ist das denn? Wir können Deinen wunderbaren Bericht gut nachvollziehen, ging doch unsere Antarktistour 2011 just von Ushuaia los und wir hatten beim Flug Glück mit dem Wetter. Was eine atemberaubende Natur - da wird man ganz klein...

Ganz herzlichen Dank ein weiters Mal, mein Lieber, es macht Spass, Euch zu begleiten >:d<
Viele Grüße von Nicole und Stefan!
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Oliva B.
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Re: Durch Patagonien

Beitrag von Oliva B. »

nixwielos hat geschrieben:[..]Wir können Deinen wunderbaren Bericht gut nachvollziehen, ging doch unsere Antarktistour 2011 just von Ushuaia los [...]
Da kann ich leider nicht mithalten, nixwielos...

@ Herbert

Schade, dass dir etliche Fotos beim Baden verloren gegangen sind und es früher noch keine großen (und günstigen) Speicherkarten zu kaufen gab. Fotos sind das I-Tüpfelchen guter Reiseberichte, selbst wenn sie wie hier teilweise nur briefmarkengroß sind. ;;)
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